Olevano: Bella campagna, bella citta
Die schmale Straße schlängelt sich durch die liebliche Berglandschaft. Weiter geht es auf einer wenig befahrenen Nebenstraße ins Tal hinab. Schwüle Luft erschwert den darauffolgenden Aufstieg auf den Bergkegel von Olevano. Ein großer Hund folgt uns. Er legt sich artig nieder, wenn wir rasten, Wasser trinken. Irgendwann ist er aber verschwunden. Auf einmal, nach einer Kurve, zum Greifen nah am gegenüberliegenden Steilhang, die verschachtelten Häuser von Olevano. Wir sind beeindruckt. Malerisch an einer Straßenkurve steht eine alte Kirche. Sind hier all die Romantiker des beginnenden 19. Jahrhunderts vorbeigezogen? Joseph Anton Koch, Julius Schnorr von Carolsfeld, Ludwig Richter, Woldemar Hermann, Wilhelm Waiblinger, Ludwig Tieck, um nur einige zu nennen.
Wie sich die Zeiten ändern! Vor Jahrzehnten noch war Olevano und Civitella mundus incognitus; Niemand hatte Lust, in jene Gegenden einzudringen, wo die Räuber in ganzen Banden hausten, plünderten und mordeten, und zum wenigstens die Furcht, oder die Unbequemlichkeit des Aufenthalts und der Wanderung die Reisenden zurückhielt. Nun, seit einige deutsche Maler sich dort eingenistet, gezeichnet, gemalt, und selbst ein paar Frauen geholt, seit man in wohleingerichteten Lokalen, wie in Subiaco, oder in Privathäusern, wie in Olevano und Civitella, um den Preis von vier bis sechs Paoli täglich leben kann, hat es kein Ende mehr mit Reisen in jenes gelobte Land. […]
Nicht jedoch, als ob wir es ganz mit unsern Landsleuten gehalten hätten, welche, in Rom immerdar unter sich lebend, ihre Abende bei Tabak und Wein unter einander verzechen, so oft nach einem vieljährigen Aufenthalt in Italien auch nicht ihre Fogliette Wein in erträglichem Italienisch fordern lernen, und mit Sitten, Gewohnheiten, mit der Individualität des Volkes unbekannt bleiben, unter dem sie wandern, ohne sich ihm mitteilen zu können, und dem sie deshalb leicht ein Gegenstand der Abneigung, des Spottes und Witzes werden. [geschrieben August 1828]
(Wilhelm Waiblinger: Sommer-Ausflug nach Olevano. In: Werke und Briefe, Band 4. Stuttgart 1988, S. 410.)
Hinauf geht es in die Altstadt in ein Gewirr von steilen, engen Gassen, die sich immerfort verzweigen. Kleine, gewundene Treppen führen über alte verrottete Tore zu den Hauseingängen, immer mit Blumen geschmückt. Es duftet nach frischer Wäsche, die hoch oben an beweglichen Leinen hängt. Hier und da Bänke, auf denen ältere Frauen oder Männer – aber immer getrennt – sitzen und uns neugierig anschauen, unseren Gruß zurückhaltend erwidern.
Unser Ziel ist wie immer der höchste Punkt der Stadt, die Burgruine. Von hier aus bietet sich ein wundervoller Blick auf die Umgebung, auf das benachbarte und noch höher liegende Örtchen Bellegra, das Civitella Ludwig Richters, das aber nunmehr aus der Ferne wie eine einzige Neubausiedlung aussieht, und auf die eng verschachtelten Dächer von Olevano, die die Vielzahl von Gassen unter ihnen nicht vermuten lässt. Bis zum späten Nachmittag laufen wir kreuz und quer in ihnen herum. In der Kirche San Rocco stehen wir andächtig vor dem Grab Franz Hornys. Der nächste Weg führt uns zum Haus, in dem Wilhelm Waiblinger wohnte. Eine Tafel erinnert an den deutschen Poeten, der, wie auch die Maler Heinrich Reinhold und Camille Corot, hier bei der Familie Pratesi Herberge fand.
Das ist ein wahres Zauberland, gewiß einer der schönsten und bedeutendsten Punkte Italiens, und dennoch wird er fast von keinem der Fremden, die Italien in unzähliger Menge bereisen, besucht, denn nicht einmal ein Gasthof ist im Ort; … […] Überhaupt ist die ganze Gegend dort so phantastisch, dass man es in Deutschland gar nicht glauben würde, wenn man Zeichnungen davon sähe. Man ist nämlich im Sabinergebirge, alle Orte liegen ganz oben auf Felsen wie Schwalbennester, mit alten Schlössern und Burgen; oft muss man stundenlang auf schmalem Fußpfad, wo nur das Maultier zu brauchen ist, die nackten Felsen hinauf, um dahin zu gelangen; und die Farbe! Davon hat man keine Ahnung.
(Franz Horny: Brief an seine Mutter. In: Deutsche Briefe aus Italien. Hrsg. von Eberhard Haufe, Leipzig 1965, S. 215.)
Wir treffen eine Norwegerin, unterhalten uns mit ihr auf Englisch. Ihre ironische Sicht auf italienische Gewohnheiten und Mentalität teilen wir lachend und beneiden sie insgeheim, da sie für drei Wochen im centro in unmittelbarer Nähe der Kirche bei einem Freund Urlaub macht.
„It’s crazy, every hour ring the bells. Bing, bäng, bing, bäng. From eleven on evening to six in the morning it is silent. Then I can sleep. But that is a very, very beautiful landscape.“
Wir bestätigen dies. „Bella campagna, bella citta!“
Die besten Beiträge zu der Sammlung lieferte ein zweiwöchentlicher Aufenthalt zu Olevano im Sabinergebirg während der Herbstzeit. Aber nicht nur für das Landschaftsbuch waren diese Tage gesegnet, sondern auch für Herz und Geist. Ich wanderte mit Passavant dahin und wir lebten während der ganzen Zeit im nächsten Umgang mit Franz Horny, mit dem wir zusammen wohnten, aßen und zeichneten, sehr glückliche Tage. Das herrliche Gebiet von Olevano, das schon dem Meister Koch seine schönsten Motive gegeben hat, war ja reich genug, um auch uns andere noch mit seinen Gaben zu versorgen.
(Julius Schnorr von Carolsfeld: Zwölf Briefe zu dem Landschaftsbuch. In: …ein Land der Verheißung – Julius Schnorr von Carolsfeld zeichnet Italien. Ausstellungskatalog von Petra Kuhlmann-Hodick in Zusammenarbeit mit Claudia Valter, Dresden, Köln 2000, S.93.)